Kultur und Austausch
Fußball in Japan
von Herrn Konsul Masashi TAKAHASHI:
(Japan Forum, Juni 2002, S. 1-2)
Angeblich wurde der europäische Fußball - in Japan unter dem amerikanischen Begriff soccer bekannt - im Jahre 1873 von einem englischen Offizier, der an der Marineakademie in Tôkyô als Ausbilder tätig war, in Japan eingeführt. Im Laufe des 20. Jahrhunderts bildeten sich entsprechende organisatorische Strukturen heraus: 1921 erfolgte die Einrichtung des Japanischen Fußballverbandes JFA, 1929 trat Japan dem Internationalen Fußballverband FIFA bei und ist seit Gründung des Asiatischen Fußballverbandes AFC auch dort Mitglied. Heutzutage gibt es in Japan über 28.000 eingetragene Fußballvereine mit rund 800.000 Spielern (Stand: 2000).
Damit ist Fußball in Japan zwar eine beliebte Sportart, steht aber keineswegs an erster Stelle. Diese Position hat vielmehr seit Jahrzehnten Baseball inne, das sich nach dem Zweiten Weltkrieg unter dem Einfluss der USA fest in Japan etablierte und seitdem großer Popularität erfreut. Diese wird sich gewiss auch mit der diesjährigen Fußball-WM nicht grundlegend ändern, doch ist zu hoffen, dass die momentane Fußball-Begeisterung nicht mit dem Finale am 30. Juni im International Stadium Yokohama enden wird.
Bereits im Altertum gab es in Japan eine Art Fußball, das sog. kemari. Einst aus China nach Japan gelangt, wird es erstmals im Geschichtswerk Nihongi (bzw. Nihon shoki, "Annalen Japans", um 720) erwähnt und ist uns beispielsweise aus Bildern der Heian-Zeit (794-1185) vertraut, als sich Hofadelige gern mit kemari die Zeit vertrieben. Dabei stellten sich acht Personen in einem Kreis auf, ließen einen aus Hirschleder gefertigten Ball mit dem Spann des Fußes hochschnellen und kickten sich diesen Ball gegenseitig zu. Ziel war es, den Ball möglichst lang in der Luft zu halten, ohne dass er den Boden berührte. Toreschießen oder der Zweikampf Mann gegen Mann stand nicht auf dem Programm, Regeln und Spielweise unterschieden sich also deutlich von dem, was wir heute unter Fußball verstehen.
Mein erster intensiver persönlicher Kontakt zum Fußball erfolgte, als ich 14 Jahre alt war. Bis dahin hatte ich nur hin und wieder ein klein wenig "gekickt", aber von da an spielte ich mit großer Begeisterung und Intensität zuerst in der Mittel- und danach in der Oberschule. Mit knapp 18 Jahren machte ich bei den Oberschul-Meisterschaften (Highschool Championship) mit, bei denen wir schließlich sogar einmal den Präfektur-Cup gewannen. Bis dahin hatten meine gesamten Fußball-Erfahrungen auf Spielen gegen andere japanische Teams basiert. Daher war es für mich hochinteressant, als ich 1977 als Mitglied des Aufgebots der japanischen Auswahlmannschaft U18 nach Europa reisen durfte. Nie werde ich vergessen, wie der damalige Außenminister Hatoyama extra zu uns kam, um uns vor unserem Abflug im Flughafen Haneda, von dem damals noch die großen Fernflüge starteten, zu verabschieden. Er sagte zu uns: "Vergesst nicht: Ihr tragt auf Eurem Trikot unsere Farben, die Farben Japans. Das bedeutet, dass Ihr Japan repräsentiert." Damit wurde mir die Verantwortung bewusst, die ich für mein Land trug. Ich hatte zum ersten Mal das Gefühl, mit dem Fußballspielen auch etwas für mein Land zu tun, es nach außen zu vertreten und alles daran setzen zu müssen, einen guten Eindruck zu vermitteln. Ich glaube, dass dieses Erlebnis auch meine spätere berufliche Entscheidung, für das Außenministerium tätig zu werden, beeinflusst hat.
Die Zeit in Europa war für uns junge Fußballer damals sehr spannend und lehrreich. Erstmals kämpften wir gegen Mannschaften aus Ländern, in denen Fußball seit vielen Jahrzehnten einen hohen Stellenwert einnimmt und die uns daher an Erfahrung eindeutig überlegen waren. In den verschiedenen Spielen gegen Auswahlmannschaften aus Deutschland, der Schweiz, Polen, Holland usw. habe ich den Niveauunterschied zwischen dem japanischen und dem europäischen Fußball deutlich feststellen können. Ganz besonders zeigte sich dies beim Spiel gegen das Team der damaligen Sowjetunion. Damals boomte gerade die japanische Wirtschaft, und so waren wir vom Material her bestens ausgestattet, hatten zahlreiche Trikots, Schuhe etc. dabei und konnten uns in dieser Hinsicht wirklich nicht beklagen. Ganz anders sah die Lage bei den sowjetischen Spielern aus: Ihre Trikots waren alt und verschlissen, man sah ihnen an, dass sie bereits häufig gewaschen und vielfach getragen worden waren. Und dennoch: Obwohl sie optisch überhaupt nicht mit uns konkurrieren konnten, waren sie uns spielerisch deutlich überlegen und haben uns selbstverständlich haushoch geschlagen. Bei allen Spielen, ganz besonders aber bei diesem Spiel gegen die Sowjetunion, wurde mir klar, dass Japan im Fußball noch eine Menge zu lernen hatte. Eine gute Ausrüstung ist hilfreich, doch entscheidend für die Spielqualität ist das Innere, das, was in einem steckt, und nicht die Form, in der man sich äußerlich präsentieren kann.
Dennoch ist es für alle Aktiven ein Gewinn, dass sich die technischen Möglichkeiten in den vergangenen Jahrzehnten deutlich weiterentwickelt haben. Den heutigen Fußballern steht eine Ausrüstung zur Verfügung, von der man vor 20, 30 Jahren nur träumen konnte. Beispielsweise wurde für die japanische Mannschaft zur WM ein besonders schweißaufsaugendes Trikot aus HighTech-Fasern entwickelt - eine gute Voraussetzung für ein Turnier, das zu einer Zeit stattfindet, da es in Japan besonders heiß und feucht ist. Ganz neu ist auch der WM-Ball "Fevernova" mit seinem dem Wurfstern japanischer Ninja nachempfundenen rot-goldenen Dekor. Er ist nicht aus Leder, sondern hat eine Kunststoffbeschichtung über winzigen gasgefüllten Mikrozellen und soll sich durch eine besonders präzise Flugbahn und große Schussgewalt auszeichnen - laut Adidas ist es der schnellste Fußball, der je produziert wurde.
Betrachtet man die Geschichte des Fußballs in Japan, entdeckt man, dass Japan in den vergangenen Jahrzehnten bis zur Fußball-WM in Frankreich 1998 kaum größere internationale Erfolge vorzuweisen vermochte. Man kann fast sagen, dass es lange Zeit vom Weltfußball isoliert war. Dabei hatte alles Anfang der 1960-er Jahre recht gut begonnen: Als feststand, dass die Olympischen Spiele 1964 in Tôkyô stattfinden würden, verpflichtete Japan 1960 den renommierten deutschen Fußballtrainer Detmar Cramer, einen japanische Nationalmannschaft zu formen. Bis 1963 leistete er intensive Aufbauarbeit und legte einen wichtigen Grundstein für die Weiterentwicklung des Fußballs in Japan. Er baute systematisch die Verteidigung auf und war überdies in der Lage, die Spieler gut zu motivieren. Bei der Olympiade 1964 zeigte Japan eine respektable Leistung, und Cramer regte an, eine Amateurliga zu gründen, die 1964 als Japan Soccer League (JSL) nach dem Vorbild der deutschen Bundesliga ins Leben gerufen wurde. Cramers Tätigkeit ist es sicherlich zumindest zum Teil zu verdanken, dass es Japan bei den Olympischen Spielen in Mexiko 1968 gelang, im Fußball die Bronzemedaille zu gewinnen - ein Erfolg, der zumindest für einige Jahre einen Fußballboom in Japan auslöste. Der Stürmerstar KAMAMOTO Kunishige wird wegen seiner sieben Tore bei dieser Olympiade manchen wohl immer noch in Erinnerung sein.
Jedoch gelang es Japan in den Folgejahren nicht, sich für ein größeres internationales Fußballturnier zu qualifizieren. Daher ließ das Interesse beim Publikum langsam nach. Als zusätzlich hemmend erwies sich die starke Firmenorientierung vieler japanischer Vereine, die von Großunternehmen wie Nissan, Yamaha, Mitsubishi Motors, Nippon Steel, Yomiuri Shimbun oder Hitachi finanziert wurden, während der Kontakt zur lokalen Bevölkerung gering war, so dass die Mannschaften dort kaum Rückhalt hatten. Außerdem darf man nicht vergessen, dass die Spieler Amateure waren, die den Sport neben ihrem eigentlichen Beruf ausübten und daher nicht in der Lage waren, die gleichen Leistungen zu erbringen wie Vollzeitsportler. Schließlich verbreitete sich die Ansicht, dass es sinnvoll sein könnte, vom reinen Amateurfußball abzuweichen und auch Profis zuzulassen. Als der erste japanische Fußballprofi im Ausland OKUDERA Yasuhiko, der zuerst in Köln spielte, ehe er sich in Bremen einen Stammplatz sicherte, 1986 nach Japan zurückkehrte, entschied die JSL, in Zukunft auch Profis die Teilnahme zu gestatten. Von da an stieg der Anteil der Berufsfußballer stetig, und mit ihnen bereitete sich der Übergang zur Profiliga - der sog. J. League - allmählich vor.
Nach rund zwei Jahren Vorbereitung gelang der J. League, die der Japan Football Association unterstellt wurde, am 15. Mai 1993 ein fulminanter Start. Knapp 60.000 Zuschauer verfolgten das erste Spiel zwischen Verdy Kawasaki (ehem. Yomiuri Verdy FC) und den Yokohama Marinos (ehem. Nissan Motor FC). In diesen Vereinsbezeichnungen spiegelt sich bereit ein Teil des neuen Konzepts wieder. Denn bewusst traten nun an die Stelle der zuvor firmenorientierten Namen solche, in denen die Stadt genannt wurde. Dadurch war es für die einheimische Bevölkerung leichter, sich mit dem Team zu identifizieren. Auch gelang es oft, die Vereine auf eine solidere finanzielle Basis zu stellen, so dass sie nicht mehr nur von einem Unternehmen abhängig waren. Ein gutes Beispiel sind die Kashima Antlers, die mit Auflösung des Sumitomo Metals Football Clubs an dessen Stelle traten und - gestützt auf zahlreiche Unternehmen sowie mehrere kommunale Körperschaften - sofort japanischer Meister wurden. Die Zahl der Profimannschaften stieg kontinuierlich an, so dass schließlich 1998 eine 2. Liga (J2) mit derzeit 10 Mannschaften eingeführt wurde, aus der alljährlich die besten zwei Teams in die 1. Liga (J1) aufsteigen können. Seit März 2001 gibt es hierzu eine sehr erfolgreiche Fußball-Lotterie (Toto).
Trotz des eindrucksvollen Beginns der J. League kam es nach drei Jahren Boom zu einem deutlichen Rückgang des Intesses. Hatten zahlreiche ausländische Fußballer wie die Brasilianer Zico und Alcindo oder die Deutschen Littbarski, Buchwald und Rahn anfangs viele Fans in die Stadien gelockt, so ließen die häufigen Wechsel dieser Stars keine kontinuierliche Teamarbeit zu. Dazu kam die starke Konkurrenz durch das nach wie vor sehr populäre Baseball, dessen Saison sich mit der Fußball-Spielzeit teilweise überschneidet. Einen Wendepunkt bildete dann jedoch die Fußball-Weltmeisterschaft 1998 in Frankreich, für die sich Japan erstmals in seiner Geschichte qualifizieren konnte, und seitdem geht es eindeutig aufwärts. Unter dem Franzosen Philippe Troussier wurden die Japaner 1999 bei der FIFA-Junioren-Weltmeisterschaft (U20) Vizeweltmeister, 2000 Sieger im Asien-Pokal und 2001 Zweite im FIFA/Konförderationen-Pokal. Inzwischen sind mehrere japanische Fußballer im Ausland aktiv, beispielsweise ONO Shinji, INAMOTO Jun'ichi, NAKATA Hidetoshi und KAWAGUCHI Yoshikatsu, die alle zum diesjährigen WM-Aufgebot gehören.
Trotz aller Fortschritte in letzter Zeit weist Japan immer noch einen großen Rückstand auf Europa auf, der sich in der aktuellen FIFA-Rangliste nur teilweise fassen lässt. Hier steht Deutschland an Position 11, Japan an 32 und Korea sogar erst an 40. Stelle (Stand: 15. Mai 2002). Aber Japan hat sich gezielt auf die WM vorbereitet, u.a. in zwei Trainingscamps im Februar dieses Jahres. Zuletzt standen vom 21. März bis 25. Mai acht Testspiele auf dem Programm, deren Resultate von klaren Siegen (z.B. 2:0 gegen Polen am 27. März) über mehrere Unentschieden bis zu deutlichen Niederlagen (z.B. 0:3 gegen Norwegen am 14. Mai) reichten. Es bleibt zu hoffen, dass die WM-Maskottchen Ato, Nik und Kaz dem japanischen Team zum Erfolg verhelfen werden. Denn je weiter Japan bei der diesjährigen Fußball-Weltmeisterschaft kommt, umso vielversprechender sieht die Zukunft des Fußballs in Japan aus.
Zur Förderung des Fußballs hat die J. League in diesem Jahr zwei Programme eingerichtet. Mit der "J. League Academy" wird - vorerst in sieben Fußballvereinen - eine Modell-Ausbildungsstätte für junge Fußballspieler vom Vorschulalter aufwärts geschaffen, durch die der Nachwuchs gezielt gefördert werden soll. Zugleich möchte man diejenigen unterstützen, die am Ende ihrer aktiven Fußballer-Laufbahn stehen, und hat hierzu im April 2002 ein "Career Support Centre" eingerichtet, das Ex-Fußballer sowohl über Stellenangebote im sportlichen Bereich informieren als auch ihnen Aus- und Forbildungsmöglichkeiten an Universitäten eröffnen soll. Beide Programme sind zukunftsweisend. Mit ihrer Hilfe können Jungtalente frühzeitig entdeckt und aufgebaut werden; zugleich wird dafür gesorgt, dass ihnen genügend geschulte Ausbilder mit Fußballerfahrung zur Seite stehen. Auch wenn Japan sicherlich noch viel lernen muss, so sind doch auf diesem Wege die besten Voraussetzungen für eine Fortsetzung der Erfolge der vergangenen Jahre geschaffen, und so hoffen wir schon jetzt auf ein gutes Abschneiden des japanischen Teams nicht nur bei der diesjährigen WM, sondern auch im Hinblick auf die nächste Fußball-WM 2006 in Deutschland!
(Siehe auch Japan bei der Fußball-WM 2006, in: Japan Forum Vol. 136/Juli 2006)