Kultur und Austausch
Schneefest in Sapporo:
(Japan Forum, Februar 2002, S. 1)
Wer im japanischen Internet unter dem Stichwort yuki-matsuri ("Schneefest") recherchiert, wird beinahe erschlagen von der großen Zahl an Hinweisen. Doch wem unter Ihnen sind z.B. die Schneefeste in Shimogo (Präfektur Fukushima) und in Tokamachi (Präfektur Niigata) oder das Oyu-Onsen-Fest in Kazuno und das Inukko-Fest in Yuzawa (beide Präfektur Akita) ein Begriff? Vermutlich nur wenigen.
Vertrauter hingegen ist gewiss das Schneefest im ebenfalls in Akita gelegenen Yokote (Yokote no yuki-matsuri), das jedes Jahr am 15. und 16. Februar rund 220.000 Besucher anlockt. Der in diesem Zusammenhang verwendete Begriff kamakura hat dabei viele verschiedene Bedeutungen. So heißen z.B. die für dieses Ereignis typischen Schneehütten, die in ihrer Form ein wenig an Iglus erinnern und einst zum Empfang der Jahresgottheit zum 14. des ersten Monats des alten Mondkalenders errichtet wurden. Doch die Zeremonie am 15., bei der man den Gottheiten innerhalb der Schneehütte Reiskuchen und Sake opfert und um ihren Schutz bittet, wird auch als kamakura bezeichnet - und manch anderer Brauch ebenfalls, z.B. das Verbrennen der Neujahrsdekoration und das Fest des Wassergottes für Kinder. Heutzutage sitzen in den Schneehütten gewöhnlich Kinder. Sie rösten dort Reiskuchen und trinken amazake (süßen Reiswein aus fermentiertem Reis) oder bieten ihn Passanten an. Ein besonders stimmungsvolles Bild bietet sich dem Betrachter bei Nacht, wenn Kerzen im Inneren angezündet werden.
Doch das berühmteste Schneefest Japans zieht ungefähr das Zehnfache an Besuchern an (2001: ca. 2.344.000). Das Schneefest in Sapporo auf Hokkaido findet alljährlich Anfang Februar statt. Es wurde 1972 durch die Winter-Olympiade weit über die Grenzen Japans hinaus bekannt, als neben der Übertragung sportlicher Ereignisse auch Bilder des zeitgleich stattfindenden Sapporo yuki-matsuri mit seinen strahlend weiß glitzernden Schneemonumenten und durchsichtigen Eisskulpturen in die ganze Welt ausgestrahlt wurden.
Zwei Jahre später rief man 1974 den Internationalen Schneeskulpturen-Wettbewerb (Kokusai setsuzo konkuru) ins Leben, an dem sich inzwischen nicht nur Teams der asiatischen Nachbarländer, sondern z.B. auch solche aus Argentinien, Guam, Neuseeland und Europa beteiligen. Für dieses Jahr haben sich 23 Mannschaften angemeldet und damit zwei mehr als im Vorjahr. Auch Deutschland war bereits dabei; 1997 errang es mit seinem Werk "Sanddorn" sogar den Sieg in Gruppe B.
Die Anfänge des Schneefestes in Sapporo waren allerdings eher bescheiden: 1950 hatten einheimische Oberschüler sechs Schneeskulpturen im Odori-Park entlang der Hauptverkehrsstraße Sapporos errichtet. Diese zogen viele Blicke auf sich und fanden rasch sowohl Nachahmer als auch staunende Betrachter. Es kamen über 50.000 Besucher, und so wurde die Veranstaltung allmählich zu einem festen Bestandteil des Winterprogramms und ist inzwischen längst das größte Winterereignis auf Hokkaido. Ausgangspunkt und Zentrum des Festes ist immer noch der Odori-Park. Hier stehen über eine Strecke von 1,5 km rund zwei Drittel der Werke, darunter viele große Monumentalbauten sowie solche, die die Einheimischen privat bzw. in Bürgergruppen errichtet haben, und die der internationalen Teams; auch gibt es eine Bühne, auf der ein buntes Unterhaltungsprogramm mit Modenschau und Stars aus Film und Fernsehen geboten wird. Makomanai gilt mit seinen Großbauten und Schneemodellen bekannter TV-Figuren als ideal für Familien; Susukino hingegen ist bekannt für seine rund 100 Eisskulpturen.
Die Projekte in Odori und Makomanai können beachtliche Ausmaße annehmen - das Huis ten Bosch beim 49. Schneefest 1998 maß 22 m (Höhe) x 25 m (Tiefe) x 30 m (Breite)! - und sowohl ein Thema bildlich umsetzen als auch eine populäre Figur oder eine Sehenswürdigkeit kopieren. Ein Teil dieser Prachtbauten ist den auf Hokkaido stationierten japanischen Selbstverteidigungskräften zu verdanken, die sich seit 1955 regelmäßig beteiligen und seit 1965 ihre Basis in Makomanai haben. Dort sieht es dann auch aus wie auf einer Baustelle: Meterhohe Gerüste und Kräne ragen in die Luft, während Tausende von LKW-Ladungen Schnee angekarrt und bei bitteren Minusgraden bis tief in die Nacht mit aufopferndem Fleiß bearbeitet werden. Es wird geschaufelt, gesägt und gemeißelt, der Schnee mit Hilfe hölzerner Abdruckplatten gepresst und das im Vorfeld erstellte Modell in Kombination vieler Hundert oder sogar Tausend Einzelteile akribisch genau nachgebaut. Als "Klebemasse" dient angefeuchteter Schnee, der angesichts der klirrenden Kälte sofort gefriert. Zuletzt wird per Hand gefeilt und geschliffen, bis jedes Detail stimmt.
Sowohl der unermüdliche Einsatz der Berufssoldaten als auch das Ergebnis sind wahrlich beeindruckend. So verwundert es nicht, dass all dies dem ARD-Korrespondenten Klaus Scherer im vergangenen Jahr einen eigenen Fernsehbeitrag wert war. Nach vollendeter Arbeit zeigen die imposanten, weißglänzenden Bauwerke - ab der Abenddämmerung von außen angestrahlt oder auch von innen erleuchtet - ihre ganze Pracht. Dabei verleiht der Schnee jedem Objekt eine besondere atmosphärische Präsenz. Die Spanne der errichteten Werke reicht auch hier von architektonischen Sehenswürdigkeiten wie der Pariser Oper oder einem Tempelgebäude des Rinnoji in Nikko über Tiere bis hin zu Mickymaus-Figuren und riesigen Eisrutschen, die den Kindern - und vielleicht nicht nur ihnen - freudige Juchzer entlocken.
Sollten Sie während des diesjährigen 53. Sapporo-Schneefestes (5.-11. Februar 2002) in Japan sein, versäumen Sie bitte nicht, sich die 312 angemeldeten Werke, diese Traumwelt aus Schnee und Eis, mit eigenen Augen anzusehen. Damit es ein Vergnügen bleibt, sollten Sie sich allerdings den Witterungsbedingungen entsprechend mehrlagig sehr, sehr warm anziehen, dicke Stiefel mit gutem Profil - im Idealfall sogar mit Spikes - tragen und genügend Taschentücher einstecken. Reicht all dies noch nicht aus, Ihr Zähneklappern zu verhindern, empfehlen wir als wahres Wundermittel die köstlichen Nudelsuppen (ramen) in den Geschmacksrichtungen Salz, Sojasoße und Sojabohnepaste, für die Sapporo zu Recht berühmt ist.