Kultur und Austausch

Herbst in Japan:

(Japan Forum, Oktober 2001, S. 1-2)         

Der Herbst gilt als ideale Reisezeit für Japan, und auch die Einheimischen selber schätzen diese Jahreszeit ganz besonders. Die drückende Hitze des Sommers ist vorbei, die Kälte des Winters noch nicht angebrochen. Viel Sonnenschein lädt zum Verweilen im Freien ein, das rötlich verfärbte Laub (kôyô) verleiht der Natur besondere Schönheit, und als typische Herbstpflanze erfreut die Chrysantheme das Auge des Betrachters. Im Ise monogatari (Mitte 10. Jh.) jubelt hierzu ein Dichter:

Schön lebt sich's hier
im Herbst: da schreit die Wildgans
blüht die Chrysantheme;
schöner noch beim Frühlingsmeer.
Ah, Strand von Sumiyoshi!

(aus: Das Ise-monogatari. Kavaliersgeschichten aus dem alten Japan. Aus dem Japanischen übertragen und kommentiert von Siegfried Schaarschmidt (S. 65). Copyright © 1981 Insel, Frankfurt a.M.)

Einst gehörten nach dem alten Mondkalender (kyureki) der 7. bis 9. Monat zum Herbst, eingerahmt durch den 13. und den 19. der 24 Jahresabschnitte: den "Herbstbeginn" (risshu), der ungefähr auf den 8. August unserer modernen Zeitrechnung fällt, und den "Winterbeginn" (rittô) um den 8. November. Heutzutage jedoch versteht man - wie im Westen - unter Herbst die Monate September, Oktober und November.

Eingeläutet wird der Herbst von einer Regenzeit (shurin) bis Mitte/Ende September, in der heftige Taifune Japan heimsuchen. Diese Stürme können von immenser Stärke sein, wie der Taifun "Pabuk" bewies, der dieses Jahr im August mit einer Windgeschwindigkeit von bis zu 108 km/h den Westen Japans überrollte und nicht nur große materielle Schäden anrichtete, sondern auch Menschenleben kostete. Bekannt geworden sind auch die Taifune, die im ausgehenden 13. Jahrhundert den größten Teil der Flotte vernichteten, mit der die Mongolen zweimal versuchten, in Japan einzufallen. Dass es im Herbst jedoch nicht immer stürmisch sein muss und die tropfenbehangene Natur von filigraner Schönheit sein kann, vermittelt uns die Hofdame Sei Shônagon mit folgenden Worten in ihrem "Kopfkissenbuch" (Makura no sôshi, um 1000):

Der Regen, der eine ganze Septembernacht hindurch goß, hat aufgehört, und strahlende Sonne glitzert im Garten. Über die Chrysanthemenblätter sind unzählige Tautropfen gestreut. An den Hecken und Gartentörchen hängen noch zerrissene Spinngewebe, und an ihren Fäden sind silberne Perlen aufgereiht. (aus: "Garten an einem Herbstmorgen" (Auszug), in: Das Kopfkissenbuch der Hofdame Sei Shônagon (S. 204). Copyright © 1952 Manesse Verlag, Zürich)

Nach Ende dieser Taifunzeit stabilisieren sich die klimatischen Verhältnisse. Die Hochdruckzonen des Kontinents und des Meeres halten sich ungefähr die Waage, es beginnt der eigentliche Herbst mit gleichmäßig schönem Wetter, wie es gern seit alters in der Literatur gepriesen wird. Der Himmel ist klar, die Luft mild, die Sonne angenehm warm, in Gärten und Parks blühen die Chrysanthemen, die Menschen ziehen hinaus, um die Herbstfärbung zu betrachten, und des Nachts steht der Mond besonders klar und eindrucksvoll am Firmament. Um ihn zu bewundern, versammelte man sich einst in der 15. Nacht des 8. Monats (jugoya) alter Zeitrechnung an einer Stelle, an der er besonders gut zu sehen war, zur "Mondschau" (tsukimi), einem Brauch, der in der Heian-Zeit (Ende 8. bis Ende 12. Jh.) aus China übernommen worden war. Während man kalte Reisbällchen (tsukimi-dango), gekochte Gemüse und Obst aß und sich bei warmem Sake vom Vollmond inspirieren ließ, entstanden zahlreiche Gedichte, z.B.:

Der Herbstmond
leuchtet strahlend klar
auf die Berge nieder:
fordert er uns vielleicht auf,
jedes Blatt, das fällt, zu zählen?

(aus: Die vier Jahreszeiten. Gedichte aus dem Kokin Wakashu. Ausgewählt, aus dem Japanischen übertragen und kommentiert von Peter Ackermann und Angelika Kretschmer (S. 167). Copyright © 2000 Insel, Frankfurt a.M.)

Traumhaft schön sind auch die Verse des Sakyô no Daibu Akisuke (= Fujiwara no Akisuke, 1090-1155):

Im herbstlichen Wind
treiben die Wolken dahin
und wo sie zerreißen
bricht flüchtig des Mondes Licht
in seinem schönsten Glanz hervor

(aus: Als wär's des Mondes letztes Licht am frühen Morgen. Hundert Gedichte von hundert Dichtern aus Japan. Hrsg. und übertragen von Jürgen Berndt (S. 179). Copyright © 1992 edition q, Berlin)

Natürlich gibt es auch Festivitäten im Zusammenhang mit der herbstlichen Ernte, beispielsweise der zu den shintoistischen Jahreszeitenfesten gehörende "Herbstanfang" am 23. September (shubun no hi) mit seinen Umzügen und Tänzen, in denen man seine Hoffnung auf reichen Ertrag zum Ausdruck bringt. Das gute Wetter nach Ende der Regenzeit wird überdies gern für Sportfeste genutzt, vor allem am 10. Oktober, dem offiziellen "Tag des Sports" (taiiku no hi, heutzutage oft als beweglicher Feiertag gefeiert am 2. Montag im Oktober). Als weiterer gesetzlicher Feiertag naht am 3. November der "Tag der Kultur" (bunka no hi), an dem viele kulturelle Veranstaltungen angeboten werden. Überhaupt ist der Herbst eine Zeit, in der zahlreiche Museen große Ausstellungen präsentieren, Konzerte stattfinden und auch die Schatzkammer (Shôsôin) des Tôdaiji in Nara für rund zwei Wochen einen Teil seiner wertvollen Sammlung der Öffentlichkeit zugänglich macht.

Aber im Herbst kommt zugleich Melancholie auf. Das Jahr neigt dem Ende zu und macht deutlich, wie rasch wieder einmal die Zeit verstrichen ist. Wer einsam ist, denkt wehmütig an gemeinsame Stunden zurück. Ein akustisches Symbol hierfür ist das Röhren des Hirsches, das Sarumaru Dayu bzw. Tayu (9./10. Jh.) so treffend in Worte fasst:

Tief in den Bergen
streift durch glühendes Rotlaub
röhrend der Hirsch
Sein sehnsuchtsvolles Rufen
wie traurig macht es den Herbst

(aus: Als wär's des Mondes letztes Licht am frühen Morgen. Hundert Gedichte von hundert Dichtern aus Japan. Hrsg. und übertragen von Jürgen Berndt (S. 31). Copyright © 1992 edition q, Berlin)

Dennoch kann selbst diese Stimmung zumindest für Sei Shônagon auch ihren Reiz haben:

Im Herbst ist der Abend am schönsten, wenn die sinkende Sonne ihre rötlichen Strahlen ausschickt und sich langsam den Berggipfeln nähert. In dieser traurig-schönen Stimmung sind sogar die Krähen lieblich anzusehen, die, zu zweit oder dritt vorüberfliegend, ihre Schlupfwinkel aufsuchen. Noch schöner sind natürlich die Wildgänse, die in langen Reihen fliegen und ganz klein erscheinen. Wenn die Sonne verschwunden ist und nur noch der Wind sein Lied singt und das Zirpen der Grillen zu hören ist, wird mir ganz wehmütig zumute. (aus: "Über die Jahreszeiten" (Auszug), in: Das Kopfkissenbuch der Hofdame Sei Shônagon (S. 25f.). Copyright © 1952 Manesse Verlag, Zürich)

Typisch für den Herbst sind - neben Hirsch, Grillen und Wildgänsen - auch Weintrauben (budô), Libellen (tonbo), die Kosmos-Blume und natürlich die roten Blätter des Ahorn (momiji), der in Japan in viel größerer Artenvielfalt zu finden ist als in Europa. Gern wird er aufgrund dieses Farbenspektrums mit Brokat verglichen. Nicht vergessen werden dürfen die "Sieben Herbstgräser" (aki no nanakusa), die einst den Herbst symbolisierten: Buschklee (hagi) und susuki-Gras, Glockenblume (kikyô) und Wasserdost (fujibakama), Knabenkraut (kuzu), Nelke (nadeshiko) und Goldbaldrian (ominaeshi). Sie begegnen uns häufig in Kunst und Kunsthandwerk, auf Wandschirmen und Spiegeln, Schwertstichblättern, Lackwaren u.v.m.

Der Herbst erscheint als Verfärbung der Natur oder mit seiner sonstigen charakteristischen Fauna und Flora auch auf Kimonostoffen und Essgeschirr. Es kommt sogar vor, dass Speisen farblich so arrangiert werden, dass sie auf den ersten Blick wie Herbstlaub aussehen, z.B. bei fukiyose, einem im Kansai-Gebiet verbreiteten bunten Gericht aus Nüssen, Krabben, matsutake und anderem Gemüse. Ein weiterer Leckerbissen ist der Makrelenhecht (sanma), und im Laufe des Herbstes tauchen immer mehr fette Fische auf der Speisekarte auf. Mancherorts werden Kastanienfeste gefeiert, bei denen ein mit Maronen gewürzter süßer Reiskuchen ebenso dazu gehört wie andere Speisen aus Nüssen und Reis. Die Ginkgo-Nuss findet zwar zu jeder Jahreszeit in der Küche Verwendung, ist jedoch im Herbst wegen ihres Eigengeschmacks besonders beliebt, wenn sie auf einem Holzkohlenfeuer geröstet und heiß verzehrt wird.

Überhaupt erwacht im Herbst nach der schwülen Hitze des Sommers wieder der gesunde Appetit. Man stürzt sich freudig auf die kulinarischen Köstlichkeiten, die diese Jahreszeit zu bieten hat. Eine besondere Spezialität ist der matsutake, ein Pilz, der mit halbgeschlossenem Schirm als besonders schmackhaft gilt und einem im Herbst in nahezu allen Restaurants und Gemüseläden begegnet. Viele Einheimische machen sich in die Kiefernwälder auf, um ihn eigenhändig zu sammeln und manchmal sofort an Ort und Stelle zuzubereiten. Er kann z.B. gegrillt, mit Reis zusammen als matsutake meshi gekocht oder eingelegt und später zusammen mit Hähnchen, Fisch und Ginkgo-Nüssen gedünstet werden. Gern wird er mit Tofu serviert, da dieser den Eigengeschmack des Pilzes besonders gut zur Geltung bringt.

Auch in Japan ist der Herbst die Zeit der Obst- und Nussernte. Neben dem Apfel ist die Herbstfrucht par excellence die leuchtend orange, an Vitamin C reiche Kaki bzw. Persimone. Sie schmeckt wie eine Kreuzung aus Apfel und Aprikose, wird frisch in Stücke geschnitten als Nachtisch verzehrt und gilt als Geheimtipp gegen den Kater nach einer durchzechten Nacht.

Im November schließlich kommt der frisch geerntete Reis (shinmai) auf den Markt. Er schmeckt dann besonders gut, und daher lassen sich diejenigen, die Verwandte auf dem Land haben, oft große Mengen von dort zuschicken. Dieser Reis ist noch feucht und braucht beim Kochen weit weniger Wasser als die normalen Reiskörner. Man isst ihn gern pur, nicht mit Soßen oder sonstigen Zutaten, um seinen Geschmack unverfälscht genießen zu können. Wem dies gelingt, der wird danach nur ungern wieder auf den normalen Reis zurückgreifen und im neuen Jahr sehnsüchtig den Herbst erwarten.

 

 

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