Kultur und Austausch

Tsugaru-Jamisen:

(Japan Forum, August 2001, S. 1-2)

"Was ist Tsugaru-Jamisen?", werden gewiss manche unserer deutschen Leser fragen. Denn obwohl Begriffe wie Taiko, Koto, Shakuhachi oder Biwa inzwischen vielen geläufig sind, ist dieses japanische Musikinstrument bisher nur wenigen in Europa vertraut. Allerdings verrät der zweite Bestandteil des Wortes, dass es sich hierbei um eine besondere Form des Shamisen handelt.

Das Shamisen ist ein Banjo- oder Lauten-artiges Zupfinstrument mit drei Saiten und wird sowohl im traditionellen japanischen Theater als auch bei der Rezitation und in der Volksmusik verwendet. Es kam im ausgehenden 14. Jahrhundert aus China auf die Ryukyu-Inseln (das heutige Okinawa) und gelangte von dort aus in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts nach Japan, wo es seine heute verbreitete Form erhielt.

Bei den Shamisen unterscheidet man je nach Dicke des Instrumentenhalses drei Arten: hosozao, chuzao und futozao. Auch die Stärke ihrer Saiten ist verschieden; das Shamisen mit dem schmalsten Hals (hosozao) hat einen zarten, das mit dem dicksten Hals (futozao) hingegen einen kräftigen Ton.

Das Tsugaru-Jamisen ist noch größer als das futozao. Es kann bis zu 1,4 m lang sein, hat besonders dicke Saiten und einen tiefen, vollen Klang. Gespielt wird das Instrument mit einem bachi genannten Plektrum. Mit diesem werden die Saiten nicht nur angerissen, sondern manchmal auch kräftig geschlagen, so dass das Spiel sehr bewegt, rhythmisch und voller Energie und Dynamik ist, die sich unmittelbar auf das Publikum überträgt.

Wer das Shamisen beispielsweise als Begleitinstrument aus dem Bunraku- und Kabuki-Theater oder in der Vokalmusik kennt, wird überrascht sein, wie anders Tsugaru-Jamisen klingt. Es erinnert fast an eine Rockgitarre, auch wird - ähnlich wie beim Jazz - viel improvisiert, zumal schriftliche Notierungen fehlen, und immer wieder treten Tsugaru-Jamisen-Spieler mit Jazzmusikern gemeinsam auf.

Der Name Tsugaru-Jamisen rührt von der Region her, in der dieses Instrument sich entwickelt hat und besonders verbreitet ist: der Halbinsel Tsugaru in der Präfektur Aomori im Norden der Hauptinsel Honshu, die für ihre langen, schneereichen Winter und ihren einfachen, dörflichen Lebensstil bekannt ist. Manche behaupten, dass die Auseinandersetzung der Bewohner mit dem unwirtlichen Klima auch im bluesartigen Charakter der Tsugaru-Jamisen-Musik spürbar werde.

Doch selbst auf Tsugaru sind die genauen Ursprünge dieser Kunst nicht bekannt. Blinde Straßenmusiker (bosama) begleiteten sich einst auf diesem Instrument, wenn sie singend von Haus zu Hause zogen und ein paar Groschen oder etwas Essbares erbettelten. Einer dieser Musiker, Kanbara no Nitabo (1857-1928; eig. Akimoto Nitarô), gilt als Urvater des Tsugaru-Jamisen. Früh verwaist und überdies durch eine Pockenerkrankung erblindet, widmete er sich intensiv der Musik und komponierte in der Abgeschiedenheit Stücke, in die er die verschiedensten Naturgeräusche und Tierlaute einwebte. Diese brachte er bei Dorffesten zu Gehör und beeindruckte durch seine Kunstfertigkeit und die Lebendigkeit seines Spiels. Mit wachsendem Ruhm scharte er Schüler um sich und legte den Grundstein für das heutige Tsugaru-Jamisen-Repertoire. Seine Philosophie lautete: "Ahme nicht nach, sondern spiele dein eigenes Shamisen!", d.h. finde einen eigenen, persönlichen Stil.

Inzwischen sind viele der alten bosama-Weisen in Vergessenheit geraten, und nur wenige Personen wie der "lebende Nationalschatz" Ichikawa Chikujo, eine der seltenen Frauen in diesem Metier, sind noch damit vertraut. Unabhängig davon wächst die Zahl der Tsugaru-Jamisen-Fans stetig, und auch im Ausland wird diese Musik dank internationaler Konzertreisen renommierter Spieler immer bekannter. Herausragende Künstler wie Yamada Chisato, der 1963 den Club "Yamauta" für Tsugaru-Jamisen eröffnete, begeistern nicht nur ein immer größeres Publikum, sondern motivieren auch viele, dieses Instrument zu erlernen. Damit steigt auch die Zahl der hochqualifizierten Spieler: Beteiligten sich 1982 weniger als 30 Personen am landesweiten Tsugaru-Jamisen-Wettbewerb in Hirosaki (Präfektur Aomori), so waren es letztes Jahr bereits 280.

Zu den Stars der Szene gehört auch Ishikawa Hajime, der am 25. August 2001 zusammen mit seinem Meister Ishikawa Kazuo in Düsseldorf auftreten wird. Im Alter von nur 17 Jahren gewann er 1998 den landesweiten Tsugaru-Jamisen-Wettbewerb (Tsugaru Jamisen Konkuru Zen Nihon Taikai), im gleichen Jahr erschien seine erste CD, und seine Tourneen führten ihn nicht nur durch ganz Japan, sondern bis nach Brasilien, Neuseeland und Europa. In Deutschland wird er insgesamt 15 Konzerte geben, davon das erste in Düsseldorf. Die Gelegenheit, diese mitreißende Musik live zu erleben, sollte man sich auf keinen Fall entgehen lassen.

Die japanische Tageszeitung "Mainichi Shinbun" sprach im Herbst 2000 von einem regelrechten Tsugaru-Jamisen-Boom in Japan. Zugpferde sind vor allem junge Künstler wie die beiden Yoshida-Brüder Ryôichirô und Ken'ichi, die zwar in traditioneller Kleidung, aber mit gefärbtem Haar und modisch gestylter Frisur auftreten und nicht nur durch ihr Können, sondern auch durch Witz und Spielfreude eine große Fangemeinde gewonnen haben. Mit ihrem ersten Album voll pulsierender Dynamik, von dem innerhalb kürzester Zeit über 80.000 Stück über den Ladentisch gingen, bewiesen sie - und vor ihnen schon zahlreiche andere Tsugaru-Jamisen-Künstler -, dass es sich bei der Meinung, traditionelle Musik sei meist langweilig und uninteressant, eindeutig um eine Fehleinschätzung handelt.

Die Begeisterung für Tsugaru-Jamisen dürfte mit dazu beigetragen haben, dass traditioneller Musik (hôgaku) in Japan wieder mehr Aufmerksamkeit gewidmet wird. So ist beispielsweise im revidierten Lehrplan vorgesehen, dass Mittelschüler ab April 2002 mindestens ein japanisches Musikinstrument erlernen sollen. Es ist anzunehmen, dass viele zum Tsugaru-Jamisen greifen werden.

 

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